Vortrag Dr.Kai Lehmann (01.02.2020)
Blick hinter die Kulissen eines ungewöhnlichen Berufes
Eher als sachkundiger Kenner der Hexenverfolgung bekannt, hat Dr. Kai Lehmann nun ein weit weniger bekanntes Thema für einen Vortrag gefunden.
„Vom Scharfrichter zum Arzt – vier Generationen Henker, Heiler, Menschen“ nennt der Museumsdirektor von Schloss Wilhelmsburg Schmalkalden seinen neuen Vortrag, den er auf Einladung vom Burg- und Heimatverein nun im Bürgerhaus Untermaßfeld hielt. Um es vorweg zu sagen: Wieder hat er es in seiner mitreißenden Art verstanden, seinen Zuhörern ein Thema zu vermitteln, über das es sicher mehr Vorurteile als Sachkenntnis gibt.
Warum galt der Beruf Scharfrichter lange als unehrenhaft? Waren die Vertreter dieses Berufsstandes, die andere Menschen vom Leben zum Tod beförderten, wirklich brutale und ungebildete Menschen? Waren Scharfrichter tatsächlich tumbe und unkultivierte Männer, oder waren sie vielmehr ganz normale Menschen, denen aufgrund des Standes, in den sie hineingeboren wurden, gar nichts anderes übrig blieb, als wieder – wie ihre Vorfahren – Scharfrichter zu werden?
Mit diesen Fragen setzte sich Kai Lehmann auseinander, ohne dabei jeglichen Gruselfaktor zu bedienen. Aber auch, ohne diesen Beruf aufzuwerten und ihn zu glorifizieren. Als Historiker ist ihm daran gelegen, alle Vorgänge in der Geschichte nicht mit unseren heutigen Wertmaßstäben, sondern immer im Kontext mit der jeweiligen Zeit zu sehen. Waren zum Beispiel vor einhundert oder vor einhundertfünfzig Jahren der Rohrstock ein „normales Erziehungsmittel“ in den Schulen, würde ein Lehrer heute mit sofortiger Wirkung entlassen, wenn er ein Kind körperlich züchtigen würde.
Eher durch Zufall sei er auf dieses Thema gekommen, erzählt Kai Lehmann im Gespräch mit Meininger Tageblatt. Er hatte ein Rechnungsbuch von Johann Jeremias Glaser, einem Scharfrichter von Meiningen und Wasungen gefunden, in dem dieser sein gesamtes Erwachsenen-Leben in Zahlen festgehalten hatte. Auf 350 Seiten findet sich jede Einnahme und Ausgabe, die Glaser getätigt hatte. „Dieses Buch erlaubt einen Blick auf den Menschen hinter der Maske des Scharfrichters“, sagt Kai Lehmann, „der jüngste Sohn Glasers studierte übrigens Medizin und wurde Stadtarzt in Suhl.“
Mit dem Auffinden dieses Buches war das Interesse des Historikers Lehmann geweckt. Vier Generationen dieser Familie, dieses Berufsstandes, hat Lehmann daraufhin gezielt erforscht. Angefangen von Hieronymus Wahl, von dem in der Totenhofkirche in Schmalkalden ein großes und kunstvoll gestaltetes Grabdenkmal steht. Solche Epitaphe erhielten eigentlich nur bedeutende und hochgestellte Personen, die sich um das Gemeinwohl verdient gemacht hatten. Hieronymus Wahl aber war von 1657 bis 1681 Scharfrichter in Schmalkalden. „Wie geht das zusammen?“, fragt Kai Lehmann. Und antwortet selbst darauf: „Hieronymus war der Sohn von Otto Heinrich Wahl, „dem“ Scharfrichter in der ersten Hälfte des 17. Jahrhundert schlechthin.“
Der Forscherdrang war nach Auffinden dieser Fakten endgültig geweckt bei Kai Lehmann. Akribisch hat er danach vier Generationen dieser „Henkers-Familie“ erforscht, ohne eigene Wertung oder Vorurteile, einfach sachlich Fakten an Fakten aneinandergereiht, aus denen sich jetzt jeder sein eigenes Bild machen kann. Reichlich zwei Stunden hielt Kai Lehmann damit seine Zuhörer in Atem, brachte damit so manches Vorurteil zu Fall. Selbst Uwe Bornkessel, der Vorsitzende vom Burg- und Heimatverein Untermaßfeld, der sein gesamtes Berufsleben in der Justizvollzugsanstalt Untermaßfeld verbracht hat, dem dadurch dieses Thema so neu nicht sein könnte – hat es in dieser Anstalt doch bis zum Jahr 1920 ebenfalls noch Hinrichtungen gegeben, am 29. Dezember 1920 wurde hier das letzte Todesurteil vollstreckt – war ein ums andere Mal überrascht von dem, was Kai Lehmann zu erzählen wusste.
Kai Lehmann bekennt gegenüber Meininger Tageblatt, dass die bekannte TV-Sendung „Terra X“ seinem bisherigen Forschungsthema Hexenverfolgung eine ganze Folge widmen wird (Ausstrahlung im Monat März diesen Jahres). „Das ist wie ein Ritterschlag für jeden Historiker“, wie er nicht ohne sichtlichen Stolz erzählte. Was er nun über die vier Generationen der Scharfrichter aus der Region Wasungen und Meiningen „ausgegraben“, also in Erfahrung gebracht hat, hat sicher das Zeug für eine weitere Folge von „Terra X“. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis sich das Fernsehen erneut dem Museumsdirektor von Schmalkalden widmet. Ist das Thema Scharfrichter doch bisher weit weniger erforscht als die Hexenverfolgung. So umfassend wie dies Kai Lehmann belegen kann, dürfte es vor ihm noch keinem Historiker gelungen sein.
Text und Bild: W.Swietek Verein
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